Im Sommer 2020 habe ich ein Gedicht zu den damaligen Corona-Erfahrungen geschrieben. Der darin beleuchtete Begriff „neue Normalität“ ist inzwischen aus dem allgemeinen Sprachgebrauch weitgehend verschwunden. Ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist weiß ich nicht. Haben wir die Problematik des begriffs erkannt? Oder haben wir die „neue Normalität“ schon so verinnerlicht, dass sie nur noch „normalität“ und gar nicht mehr „neu“ ist? Das wird sich wohl erst zeigen, wenn die pandemische Situation vorbei ist …
Aber hier ist erst mal das Gedicht:
„Neue Normalität“
Neue Wörter erfüllen das Land
Vor Jahresfrist waren noch unbekannt
„Abstandsregeln“ und „Maskenpflicht“
Auch „Hygienekonzepte“ kannten wir nicht.
Doch dass es nicht nur um Begriffe geht
Zeigt der Begriff „neue Normalität“
Normal sei, so heißt es, mancher Verzicht
Berühren, Umarmen, sollen wir nicht
Doch:
Kann es normal sein, wenn Menschen sich auf dem Friedhof
Nicht mehr weinend in den Armen liegen dürfen?
Soll ich mich daran
Gewöhnen
Dass Alkoholkonsum zunimmt
Und häusliche Gewalt
Und die Einsamkeit der Alten im Heim?
Darauf kann ich mir
Und will ich mir
Keinen Reim machen
Denn all diese Dinge sind auf keinen Fall
Auch nicht als Neuheit – jemals normal
Ja, ich halte mich an das.
Was Gesundheit verspricht
Nur:
Daran gewöhnen
Werd‘ ich mich nicht!
Wolfgang Richter 21. Juli 2020