Archiv für den Monat Juli 2015

WE SHALL OVERCOME

„Mitmach-Andacht“ zu einem bekannten Lied

Marvin wird drei Jahre alt. Der erste „richtige“ Kindergeburtstag. Er hat drei Kinder eingeladen. Natürlich sind die Mütter mitgekommen. Es gibt Muffins und Kakao. Marvins Freundin Marie stößt ihre Tasse um. Es ist der Mutter peinlich und sie sagt: „Komm her, das kannst du wohl noch nicht“ und lässt sie für den Rest des Nachmittags ihre Tasse nicht ,mehr alleine halten, sondern führt sie ihrer Tochter zum Mund. Etwas später passiert Jonas das gleiche Missgeschick. Aber seine Mutter reagiert anders. Sie wischt das Verschüttete auf, schenkt Jonas noch einmal etwas ein und sagt: „Probier’s noch mal. Du kannst das“ und gibt ihm die Tasse wieder selber in die Hand. Und tatsächlich: Natürlich bekommt es Jonas hin, alleine zu trinken.

So verschieden gehen Eltern mit ihren Kindern um – die eine Mutter sagt: „Du kannst das nicht, ich mach das lieber selber“. Die andere sagt: „Du kannst das“ – selbst dann noch, gerade dann, wenn auch einmal etwas schiefgegangen ist.

Warum mir dieses Erlebnis gerade zu unserem heutigen Lied eingefallen ist? Ihr werdet es gleich verstehen

Zu dem Lied „We shall overcome“ gibt es weder im Evangelischen Gesangbuch noch im „Gospelliederbuch“ einen Chorsatz.. Man kann es trotzdem mehrstimmig singen. Glaubt es mir, es geht; ich habe es schon mit einem ganz normalen Dorfchor probiert. Wer schon länger im Chor singt, weiß, wie ein „typischer Bass“ klingt, oder dass die Altstimme oft einfach eine Terz unter der Sopranstimme liegt.

Das Lied wird mit Klavier- oder Gitarrenbegleitung vorgespielt – mit den Akkorden, die im Gospelliederbuch angegeben sind. Dann wird es ohne Noten „eingeübt“, so als ob es Noten gäbe – der Sopran singt einmal die Melodie, die Altstimmen singen zu den Harmonien das, was sie für einen typischen Alt halten (Anfangston e, also eine Terz unter dem Sopran). Dann singen wir den Sopran und den improvisierten Alt zusammen – evtl. Begleitinstrument einmal weglassen, damit der Chor erlebt, dass es klingt!.

Je nach Chorzusammensetzung werden auch ein bis zwei Männerstimmen improvisiert. Der Bass wird sich automatisch an den Grundtönen der Akkorde orientieren. Wenn außerdem auch eine Tenorstimme gesungen werden soll, sollte das g als Anfangston vorgeschlagen werden. Alles übrige entwickelt sich von alleine – wetten?

Selbst wenn das in den wenigen Minuten vielleicht noch nicht perfekt war: wir können mehr, als wir dachten! Diese Erfahrung haben wir, glaube ich, alle soeben gemacht. Wir können auch ohne Noten singen.

Es ist wichtig, dass jemand uns etwas zutraut. Für Jonas war es wichtig, damit er durch sein Missgeschick nicht entmutigt wird. Aber auch für uns als Erwachsene ist es wichtig, immer wieder zu spüren: Wir können etwas. Und auch das, was nicht gleich gelingt, können wir uns dennoch zutrauen.

„We shall overcome“ ist ein Lied, das die christliche Hoffnung besingt. „Wir werden überwinden, wir werden Hand in Hand gehen wir werden in Frieden leben“ Es ist deutlich, dass wir das von Gott erwarten, dass sich diese Hoffnungen erfüllen „The Lord will see us through“ – der Herr wird uns ans Ziel bringen, uns hindurchziehen“ heißt es in der 2. Strophe. Der Frieden, auf den wir hoffen – der ist Gottes Werk.

Diese Hoffnung kann man auf zweierlei Weise auslegen: Entweder so, wie Maries Mutter, dass wir sagen: Wir können gar nichts, Gott muss alles tun. Manche halten eine solche Einstellung für besonders fromm. Wir können mit der christlichen Hoffnung aber auch so umgehen, wie Jonas Mutter mit ihrem Sohn: Dass die Hoffnung auf die friedliche Zukunft uns beflügelt, schon heute Frieden zu stiften. Dass wir uns gerade deshalb etwas zutrauen, weil wir die Hoffnung auf Gottes Frieden haben

Und genau so ist das Lied auch gemeint. Es ist ja das Lied der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Martin Luther King war ein frommer Baptistenpfarrer. Er hatte die Hoffnung auf Gott, der einmal alle Ungerechtigkeit beseitigen wird. Aber er hat nicht gesagt: Dann lege ich eben die Hände in den Schoß und warte untätig auf das zukünftige Reich Gottes. Sondern er hat gerade in der Hoffnung auf Gottes Friedenszukunft schon jetzt sich für das friedliche und gerechte Zusammenleben von Schwarz und Weiß engagiert. Die Hoffnung der Christen ersetzt nicht ihr Handeln, sondern motiviert sie zum Handeln und gibt auch in Enttäuschungen den langen Atem, den wir brauchen.

Fragen zum Gespräch:

– Was bringe ich aus meiner eigenen Geschichte und Erziehung mit. Wurde mir mehr gesagt: „Das kannst du nicht!“ oder eher „Du kannst es, probier’s noch einmal!“?

– Wie habe ich bisher den Glauben kennengelernt – als etwas, das Menschen passiv macht oder als Kraft, die motiviert?

– Was hilft mir, nach einem Misserfolg weiterzumachen?

– Worauf hoffe ich? Zu welchem Handeln motiviert mich diese Hoffnung?

– „kreative Zusatzaufgabe“ (ür EInzelne oder eine Kleingruppe gemeinsam:) Versucht, eine eigene Strophe zu „We shall overcome“ zu dichten (englisch oder deutsch)

Wolfgang M. Richter

(Die Mitmach-Andacht kann zum Beipiel bei einem Probentag oder einem Chorwochenende durchgeführt werden)